Verfahrensdauern
In der Botschaft des Bundesrates zum Rahmenabkommen fand sich ein Schema des Streitbeilegungsverfahrens. Der Schein der Kompliziertheit dieses Systems trog nicht. Das Verfahren ist monströs und nimmt sehr lange Zeit in Anspruch. In der Dokumentation zum Neuvertrag hat er das Verfahren vorsichtshalber nicht grafisch dargelegt. Es ist mindestens gleich kompliziert geblieben.
Ein Beispiel: Die gemeinnützige holländische Wohnbaustiftung „Woonlinie“ hat nach längerer Vorgeschichte beim Staat eine Subvention in Aussicht gestellt bekommen. Die niederländischen Behörden meldeten diese Subvention am 1.3. 2002 bei der Europäischen Kommission an. Nach über 16 Jahren Verfahren erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 15. November 2018 die Subvention als unerlaubte Beihilfe. Das Urteil hat 181 Entscheidungspunkte und ist in 22 Sprachen erhältlich.
Andere sind kürzer. So fiel der Entscheid des EuGH über die Verwendung der Busspuren in der Stadt London schon nach 6 Jahren. Der Entscheid wurde an die Vorinstanz zurückgewiesen. Wie lang das dann dort noch gedauert hat, ist unbekannt.
Berücksichtigt man all die zusätzlichen Verfahrensschritte des Neuvertrages, so braucht das Durchfechten eines effektiven Streitpunktes noch bedeutend mehr Zeit.
Prof. Michael Ambühl hat während 20 Jahren an Verhandlungen mit der EU mitgewirkt und sie z.T. geleitet. Er empfiehlt, den ersten Verfahrensschritt mit dem Schiedsgericht mit dem Hintergrund des EuGH bei Streitigkeiten zu streichen. (NZZ am Sonntag vom 17.2.2019). Und Carl Baudenbacher, langjähriger Präsident des EFTA-Gerichtshofes weist darauf hin, das auch im EWR vorgesehene ähnliche Streitbeilegungsverfahren sei „toter Buchstabe geblieben“
Kommt noch dazu, dass während des Verfahrens EU-Recht „vorläufig anwendbar“ wäre. Unternehmer (und auch die Schweiz) würden in der Praxis des Rahmenabkommens neues EU-Recht schlicht und einfach akzeptieren statt auf günstige Resultate in diesem theoretischen „Streitbeilegungsverfahren“ zu hoffen.
Die unendlichen Verfahrensdauern
und die Pflicht, während des Verfahrens
EU-Recht vorläufig anzuwenden,
machen das Streitbeilegungsverfahren
für die Schweiz wertlos
Es dient einzig als Werkzeug für die EU zur Durchsetzung
von EU-Recht in der Schweiz
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Graphische Darstellung des Verfahrens
Streitbeilegungsverfahren; Vorläufige Anwendung von EU-Recht; Demokratie
Verhältnismässigkeit der EU Sanktionen
„Sanktionen“ unter dem schönen Titel „Ausgleichsmassnahmen“, denen wir mit dem Rahmenabkommen zustimmen, machen das vom Bundesrat als Verhandlungserfolg gefeierte Recht der Schweiz, sich Ausnahmen von den EU-Regeln vorzubehalten, illusorisch. Warum finden Sie unter dem Stichwort „Sanktionen“
Frage deshalb, ob wenigstens die Einschränkung, dass die Sanktionen „verhältnismässig“ sein müssen, der Schweiz hilft. Ausgangslage ist die völkerrechtliche Verpflichtung der Schweiz, die EU-Regeln im Vertragsbereich auch in der Schweiz anzuwenden oder, wenn wir das nicht wollen, verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen zu akzeptieren.
Im Beispiel der Arbeitslosenentschädigungen für Grenzgänger plante die EU, die Zahlungspflicht vom Wohnort an den Arbeitsort zu verlagern. Diese Änderung würde die Schweiz mit ihren 400‘000 Grenzgängern gemäss Amt für Migration einen höheren dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr kosten. Macht die Schweiz nicht mit, stimmen wir „Ausgleichsmassnahmen“ zu. Damit die Ausgleichsmassnahme zu einem Ausgleich führt, muss sie die Schweiz gleich viel kosten, nämlich hunderte von Millionen pro Jahr. Wer möchte darauf wetten, dass das Streitbeilegungsverfahren über die „Verhältnismässigkeit“ der Schweiz hier etwas bringt?
Ohne Neuvertrag gibt es keine Verpflichtung der Schweiz, solche einseitig auf die Kleinstaaten zielenden Massnahmen zu akzeptieren, kein Recht der EU zu Sanktionen, kein Streitbeilegungsverfahren, keine Zahlungspflicht.
Was aber, wenn die EU etwas völlig Überrissenes, absolut Unverhältnismässiges beschliesst? Hilft dann die Beschränkung auf Verhältnismässigkeit der abkommensmässigen Sanktionen? Vielleicht nach dem jahrelangen Streitbeilegungsverfahren, wenn sich die Überreaktion im Vertragsbereich bewegt? Was aber, wenn die Überreaktion nicht als „Ausgleichsmassnahme“ gemäss Neuvertrag deklariert ist oder sich ausserhalb des Vertragsbereichs bewegt, wie z.B. die Frage der Börsenäquivalenz?
Bleiben wir realistisch: Der Neuvertrag schränkt die EU mit Schikanen, Diskriminierungen und Drohungen der EU nicht ein, bestenfalls nach epischen Streit im Vertragsbereich, überhaupt nicht ausserhalb des Vertragsbereichs. Wäre die „Börsenäquivalenz“ mit Rahmenabkommen heilbar gewesen? Nein. Wäre die Suspendierung des Forschungsabkommens innert nützlicher Frist heilbar? Nein.
Und wer meint, mit dem Neuvertrag sei die Welt dann in Ordnung und die EU begrabe Drohungen, Sanktionen etc. definitiv, dem ist das Thema der Ausdehnung des Konfliktstoffs mit der EU durch den Neuvertrag (Rotes Stichwort unten) zu empfehlen.
Besser also,
wir räumen der EU gar kein Sanktionsrecht ein,
verhältnismässig oder nicht
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Sanktionen; Konfliktstoff mit der EU; Arbeitslosenentschädigungen Grenzgänger
