Die Med-Tech-Branche
Und das Gejammer ihres Verbandes
Die Regulierung der Medizintechnik-Branche ist im Umbruch. Der Skandal mit den gesundheitsschädlichen Brustimplantaten hat den EU-Gesetzgeber zu umfangreichen neuen Gesetzen für die ganze Medizintechnik veranlasst, welche die Schweiz übernommen hat.
Gemäss Konformitätsabkommen sorgt ein Gemischter Ausschuss Schweiz/EU dafür, dass die Vorschriften konform sind. Dann können Prüfungen, ob die einzelnen Produkte den Vorschriften entsprechen, in der Schweiz erfolgen. Bis ende 2017 hat das in den technischen Fragen kaum je ein Problem ergeben. Als Reaktion auf die Widerstände in der schweizerischen Bevölkerung gegen das Rahmenabkommen hat die EU-Kommission dem gemischten Ausschuss zum Konformitätsabkommen verboten, die Konformität zu bestätigen. Damit müssen die schweizerischen Exporteure die Prüfungen in der EU durchführen lassen.
Der Swiss-Med-Tech Verband hat eine medienwirksame Kampagne für das Rahmenabkommen losgelassen. Nach Befragung diverser Branchen-Insider schreibt Rudolf Strahm dazu:
„Übel ist, wie der der Direktor des Verbandes Swiss Medtech… Alarmstimmung schürt. Er fabulierte … von einer Milliarde Franken an Mehrkosten für die Med-Tech Exporteure“. (Tagesanzeiger vom 25.2.2020)
Sogar Branchen-Insidern ist dieses Verbands-Gejammer sauer aufgestossen.
„Der Drittlandstatus kann Medtech-Firmen nichts anhaben“
(NZZ vom 25.2.2020)
Ein anderer Branchenteilnehmer bezeichnete solche Drohungen als „Hafechäs“ (Tagesanzeiger vom 25.2.2020)
Was bleibt, ist die Tatsache, dass die EU das Konformitätsabkommen verletzt. Ihre Order, die im Abkommen vorgesehenen Aufdatierungen grundsätzlich zu boykottieren, entspricht nicht dem Abkommen. Das zwingt die schweizerischen Exporteure, die Prüfungen in der EU, z.B. beim TüV Rheinland durchzuführen (was diverse aber ohnehin tun). Weiter zwingt es die Schweizer Exporteure, in der EU einen Vertreter zu ernennen. Die Kosten schätzte ein Branchen-Insider auf etwa die Kosten eines Mitarbeiters. Möglicherweise gibt es noch andere Zusatzkosten. Aber für alle Schweizer Exporteure gilt:
Man muss Dinge tun, die andere nicht können
So z.B. die Firma Ypsomed, die sich rechtzeitig um die entsprechenden Formalitäten in der EU gekümmert hat. Sie musste dafür sicher etwas bezahlen, konnte aber die Kosten an die Kunden weitergeben, weil diese ihre Produkte auch zum höheren Preis kaufen wollten. Mit Erfolg. Seit 2020 hat sich der Aktienkurs von Ypsomed verdoppelt.
Und was würde das im Rahmenabkommen vorgesehene Streitbeilegungsverfahren helfen, wenn man nach 10-jähriger Verfahrensdauer recht bekäme? Gar nichts mehr. Einem Med-Tech-Unternehmer würde es nie im Traum einfallen, sich darauf zu stützen.
Weitere Infos mit Klick auf die Stichworte
Konformitätsabkommen; Marktzugang; KMU; Milliarden der Verbände
Gutachten Konfromitätsabkommen
Die Milliarden der Verbände und Experten
Insgesamt ist es objektiv unmöglich, Nutzen und Nachteile des Neuvertrages zu beziffern. Das dürfte Konsens der serösen Wissenschafter darstellen. Zu vielschichtig sind die Zusammenhänge, die Kausalketten und zu unvorhersehbar die Reaktionen und neuen Ereignisse.
Das wird die Verbände nicht daran hindern, es mit Aufträgen an „Experten“ trotzdem zu versuchen. Ein krasses Beispiel zeigt die Studie von BAK Basel vom November 2015, wo die Verluste aus dem Wegfall der Bilateralen Abkommen mit 630 Milliarden (man höre und staune) angegeben werden. Beim Neuverterag sind es „nur noch“ 500 Milliarden. Schaut man sich allein bei drei Faktoren zwischenzeitliche Ereignisse und ihre Auswirkungen an, so zerrinnen die Milliarden schneller als sie geboren wurden.
An die 630 Milliarden tragen die technischen Handelshemmnisse 50 Milliarden bei. Wesentlicher Faktor ist die doppelte Prüfpflicht für neue Industrieprodukte. Mittlerweile hat sich die Schweiz entschlossen, eine Prüfung durch seriöse deutsche Prüfstellen anzuerkennen. Dann gibt es doch nur eine Prüfung, jene in der EU, genau das, was nicht nur Exporteure aus China und den USA, sondern auch die EU-Produzenten tun müssen. Dann schmelzen schon einmal wesentliche Teile aus den 50 Milliarden dahin.
Noch schöner wird‘s im Luftverkehr. Dort ortete BAK Basel Verluste von 120 Milliarden, weil man nach Wegfall des Abkommens nicht mehr nach Sizilien, Mallorca, Nizza, die Kanarischen, nach Griechenland oder andere Orte am Meer fliegen könne. Dummerweise hätten in der Praxis die Tourismusdestinationen im Mittelmeer, die deutschen Exporteure, die ihre Kunden in der Schweiz besuchen wollen, die Lufthansa und viele andere für eine Ersatzlösung noch vor Ablauf der Kündigungsfrist gesorgt. Und so wären weitere 120 Milliarden von BAK Basel weg. Noch dümmer gings BAK Basel beim Abkommen über öffentliche Beschaffungen (16 Milliarden). Dort reduziert sich der Verlust nach einer neueren BAK-Basel Studie von 2020 auf Null, weil andere internationale Regeln in Kraft getreten sind.
Welche anderen Ereignisse eintreten könnten und wie sie sich auf die restlichen Milliarden auswirken, müssten BAK Basel beim Wahrsager Mike Shiva fragen. Der ist leider verstorben.
Klassisch falsch lagen die Experten auch beim EWR. Hochkarätig besetzt, schätzten sie dass mit dem EWR ein jährliches Mehrwachstum des BIP von 0.4 – 0.6 % erreichbar sei. Tatsächlich erreichte das Wachstum des BIP pro Kopf in den 10 Jahren nach der Ablehnung des EWR 1.8 % pro Jahr.
Damit ist nicht gesagt, dass der Wegfall der Bilateralen Verträge keine Schäden verursachen. Aber zu den Quantifizierungsübungen der einschlägigen Institute gilt, was Daniel Binswanger am 8.7.2017 im Tagesanzeiger Magazin dazu sagte:
„Modellrechnungen…, die vorgeben,
Jahrzehnte in die Zukunft blicken zu können,
zeugen nicht von Voraussicht,
sondern bloss vom Willen, die Debatte zu hysterisieren.“
Weitere Infos mit Klick auf die Stichworte
Wie weiter ohne Neuvertrag
Konformitätsabkommen; Kosten/Nutzen-Analysen; Med-Tech-Branche
Gutachten Luftverkehrsabkommen
